bei Halle an der Saale
Willkommen in Dölau
Sehenswürdigkeiten
des Ortes vorgestellt
Stolpersteine für eine jüdische Familie
Der Kölner Künstler Gunter Demnig verfolgt seit 1992 ein
Projekt, das die Vertreibung und Vernichtung von Juden,
Sinti und Roma (damals „Zigeuner“ genannt), politisch
Verfolgten, Homosexuellen, Zeugen Jehovas und
Behinderten im faschistischen Deutschland (1933-1945)
in Erinnerung bringt.
Am 20.Juni 2023 wurden drei Stolpersteine vor diesem
Haus für die ehemals hier lebende jüdische Familie
Silberberg durch Gunter Demnig verlegt.
Etwa 1920 kam diese Familie aus Graudenz nach Halle.
Ihre Heimatregion war nach dem Ersten Weltkrieg und
den Bestimmungen des Versailler Vertrages der Republik
Polen zugesprochen worden.
Isidor und Rahel Lewin wohnten anfangs in Nietleben,
in der Eislebener Straße 81, wo sie auch ein Laden-
geschäft betrieben. Hier lebten sie zusammen mit ihrer
Tochter Elsbeth (*10.5.1897) und deren Mann Alfred
Silberberg (*12.5.1898 in Bassum bei Bremen), bevor
sie 1932 nach Dölau zogen.
In der Cröllwitzer Straße 30 (heute Stadtforststraße)
hatte Alfred Silberberg, gelernter Damenschneider und
Textileinzelhändler, ein Geschäft übernommen.
Isidor Lewin ging mit 70 Jahren in den Ruhestand.
Zunächst wohnte die ganze Familie in der Elbestraße 10,
im ersten Stock, zog aber nach kurzer Zeit schon um in
eine Wohnung neben dem Laden in der Elbestraße 34.
Alfred übernahm nun dieses Geschäft und bot hier Textil-
und Kurzwaren an. Den Laden in der Cröllwitzer Straße
30, die nun schon in Hermann-Göring-Straße umbenannt
worden war, gab er auf. Elsbeth war ausgebildete
Putzmacherin und arbeitete im Laden mit.
Rahel Lewin verstarb am 17.10.1936.
Im Sommer 1938 wurden die Verhältnisse in Dölau für
die Familie so unerträglich, dass sich Elsbeth und
Alfred um eine Auswanderung bemühten.
Sie sprachen deshalb bei der Jüdischen Gemeinde in
Halle vor, die sich dann bei der Auswanderer-
beratungsstelle Leipzig des Hilfsvereins der Juden in
Deutschland um eine Ausreisemöglichkeit bemühte.
Die Auswanderungsberatungsstelle dämpfte jedoch
Silberbergs Hoffnungen.
Die Familie hatte praktisch keine finanziellen Rücklagen,
die für eine Auswanderung im
Aufnahmeland vorgewiesen werden mussten. Elsbeths
Schwester Margot lebte zwar in Holland, konnte sie
jedoch aufgrund der eigenen Lage nicht unterstützen. Ein
Neffe war kürzlich nach Buenos Aires ausgewandert, war
dort aber selbst Hilfeempfänger.
Weitere mögliche Unterstützer oder Bürgen gab es nicht.
Auch die mangelnden Sprachkenntnisse und Alfreds
Gesundheitszustand wurden als nachteilig angesehen.
Die Auswanderung gelang nicht.
Nur wenig später, Mitte November 1938, zogen Isidor
Lewin, Elsbeth und Alfred Silberberg nach Leipzig. Über
den konkreten Anlass kann nur spekuliert werden.
Die zunehmenden Ausschreitungen gegen die jüdischen
Einwohner in dieser Zeit spielten dabei sicherlich keine
unbedeutende Rolle.
Jedenfalls wurde nach der Pogromnacht im November
1938 das Geschäft geschlossen und Silberbergs zogen
in die Nordstraße 56 im Leipziger Waldstraßenviertel.
Hier wohnten sie in einer Umgebung mit hohem
jüdischem Bevölkerungsanteil.
Elsbeths Vater Isidor, nun bereits 75 Jahre alt, fand
Aufnahme in einer jüdischen Pflegeeinrichtung in der
Leipziger Färberstraße 11, wo sich im Hinterhof seit 1921
die Beth-Jehuda-Synagoge befand. Sie war in der
Pogromnacht schwer verwüstet worden und diente jetzt
als jüdisches Obdachlosen- und Pflegeheim.
Am 19.9.1942 sollte Isidor Lewin in das KZ
Theresienstadt deportiert werden. Sein Name wurde
jedoch von der Transportliste gestrichen, vermutlich
wegen seines altersbedingten Gesundheitszustandes.
Knapp zwei Wochen später, am 2.10.1942, verstarb er
mit 79 Jahren.
Elsbeth und Alfred Silberberg wurden am 16.2.1943 in
die Volksschule in der Yorckstraße 2/4 gebracht, die in
Leipzig als Sammellager diente. Am 17.2.1943 wurden
sie zusammen mit 143 anderen Juden von dort nach
Berlin gebracht, wo sie neun Tage in der dortigen
Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße
verbringen mussten. Am 26.2.1943 wurden sie auf einen
Transport in das Konzentrationslager Auschwitz
geschickt.
Am 27.2.1943 kam der Zug in Auschwitz an. Hier
erhielten von den 1100 Deportierten nur 156 Männer und
106 Frauen eine Häftlingsnummer, 838 Menschen sind
sofort ermordet worden. Von Elsbeth und Alfred
Silberberg fehlt seither jede Spur.
(Auszug vom Infoblatt des Vereins „Zeit-Geschichte(n) - Verein für
erlebte Geschichte“ anlässlich der Verlegung dieser Stolpersteine am
20.Juni 2023 in Dölau)
Ansicht des Wohnhauses der Elbestraße 34
von 1935, damals Lettiner Straße 34
mit Geschäftsanbau
Abriss des ursprünglichen Hauses
Elbestraße 34 in Juni 2024
Verlegung der Stolpersteine am 20.Juni 2023
vor dem Haus Elbestraße 34 für die ehemals
hier lebende jüdische Familie Silberberg durch
Gunter Demnig.
Haus Elbestraße 34 im Jahr 2023